Einführung zur Ausstellungseröffnung am 05.07.2002
im Kunstverein
Wilhelmshöhe, Ettlingen
Dr. Karen Bork
Die Kugel
schnellt davon, stößt an, prallt zurück, zieht eine
Diagonale, kreuzt ihre Bahn, schlägt Haken und Ecken, um
irgendwann zur Ruhe zu kommen. Billardprofis können die
Bahn der Kugel berechnen, Maler tun in etwa das Gleiche,
wenn sie den Blick des Betrachters durch das Bild lenken.
Soweit stimmt die Analogie, doch der Betrachter verhält
sich keineswegs so willfährig wie eine Kugel. Und wenn es
nach der Karlsruher Künstlerin Agnes Märkel geht, soll er
das auch nicht tun.
Ähnlich
wie die Billardkugeln in der Collage
"Global
Players"
darf, muß der Betrachter sich bewegen. Wer achtungsvoll
erstarrt, hat schon verloren. Nur wer den Standort wechselt,
nach links schreitet, rechts innehält und die Mitte aus der
Nähe mustert, wird belohnt.
Hat man diesen grundsätzlichen Anspruch ihrer Arbeiten
akzeptiert, kann der Entdeckungsspaziergang losgehen.
So
mehrwegig die Annäherung des Betrachters, so heterogen sind
die in der Collage verwandten Elemente. Die Mitte beherrscht
eine große Kugel, die auf ihrer Außenhaut eingetragen, die
Verläufe von Sonnenfinsternissen zeigt. Darum gruppieren
sich kleinere Formen, die sich erst beim näheren Hinsehen
als Menschen aus der Vogelperspektive aufgenommen zu
erkennen geben.
Agnes
Märkel bezeichnet ihr Vorgehen als Räubern. Der große
visuelle Warenkorb lädt alle dazu ein, mit vollen Händen
aus ihm zu schöpfen. Vieles und Unterschiedliches regt ihre
Fantasie an, sie schneidet aus, vergrößert und zieht die
Fotos als Fotokopien ab. In "Global Players"
finden so die Billardfotos ihres ehemaligen Professors von
der Karlsruher Akademie, Horst Egon Kalinowski,
Wiederverwendung, die dieser während einer Exkursion
aufnahm. Daneben nutzt Agnes Märkel eigene Aufnahmen, die
sie während der legendären Sonnenfinsternis 1999 vom Turm
des Karlsruher Schlosses aus schoss.
Wir
sind umgeben, eingekesselt, berieselt von Bildern. Kaum ein
Ort, der nicht visuell gestaltet wäre. Wer dem entkommen
wollte, müßte die Augen verschließen. Eine kaum
lebensfähige Lösung. Agnes Märkel hingegen ist
überzeugt, wo Bilder allerorten unsere Wahrnehmung
besetzen, gilt es, sie neu zu arrangieren.
Ihre Collagen zeichnet eine spezielle Technik aus. Was auf
den ersten Blick disparat erscheint, wird durch ein
raffiniertes Arrangement zusammengefügt. Agnes Märkel
plaziert die Fotokopien auf der Papierfläche und ergänzt
sie in Pastellkreide dergestalt, das sich ein Gewebe aus
Formenverläufen ergibt. Das Fliesenmuster in
"Golden Goal"
von 2002 schwingt zum Kreise auf, Lenkrad und Reifen der
Edelmarke Bugatti stiften ebenfalls das Rund und die Strudel
der Muster werden vom Trichter der Berliner Galerie
Lafayette in die Tiefe gesogen. Korrespondenzen und
Verwandtschaften bilden die formalen Verstrebungen in der
Komposition. Die Verknüpfung geschieht vorsichtig; behutsam
wird die Erweiterung, das Ausblühen der Motive
vorangetrieben, bis sie sich an den Rändern dem neuen Motiv
öffnen oder gar anverwandeln.
Das
Panorama ist das Spiel um die große Illusion. In der Totale
wird Authentizität, Lebensnähe suggeriert, 360 Grad und
kein Entkommen.
Auch bei Agnes Märkel sehen wir uns großformatigen Bildern
gegenüber, die noch die Ränder unserer Wahrnehmung
besetzen wollen. Nicht von ungefähr nennt sie als Vorbild
Giovanni Segantinis unvollendet gebliebenes "Alpentriptychon".
Dahinter verbirgt sich der Wunsch, ein Panorama zu
entfalten, eine eigene Wahl zu schöpfen, die der Welt
kongenial gegenübersteht. Nicht nur mit den Augen, auch mit
dem Körper soll nun der Schritt in das Bild möglich sein.
(...)
Doch
was dürfen wir von Agnes Märkels Viel- und Sammel-bildern
erwarten?
Die monofokale Sicht, wie sie in der Renaissance formuliert
wurde, fand spätestens in den Werken der Kubisten ihren
Endpunkt. Mit dem Sehstrahl in Scheuklappen fand auch die
Idee ihr Ende, das Bild vermittele nur eine Aussage. Seitdem
gilt es als besondere Qualität in der Kunst, Brüche offen
zu legen, Irritationen zu schaffen, das Bild zum
Schlachtfeld gegensätzlicher Ambitionen zu machen.
Wo sich dem Betrachter verschiedene Zugangsmöglichkeiten
eröffnen, ergeben sich auch mehrere Lesarten. Das muß
nicht in Kampf ausarten. In den Formengeschichten von Agnes
Märkel attackiert nicht ein Motiv das andere, noch
verdrängt das eine eigensinnig das andere. Die Motive
schließen sich wie in einem Reigen zusammen, gewähren dem
einen kurzzeitiges Vortreten, nehmen es wieder in ihrer
Mitte auf. In diesem Vor- und Zurückfluten kann keines die
Vorherrschaft an sich reißen und so sind die Arbeiten von
Agnes Märkel im Innersten antihierarchisch.
Auch die Titel sind so ausgewählt, das ihre begriffliche
Mehrdeutigkeit zum Bedeutungsreichtum der Bilder beiträgt.
Der Global Player umrundet die Welt und bleibt doch ein
Spieler, die Sonnenfinsternis ist das Zusammenspiel zweier
kosmischer Spieler. Und von oben betrachtet, sind wir nichts
weiter als eine Kugel auf Beinen. (...) |