Katalogbeitrag zu "Begreifungskräfte -
Künstlerinnen heute", 1995 Badischer Kunstverein Karlsruhe
und Stadthaus Ulm
Dr. Andreas Vowinckel
(...) Mit
wenigen Linienzügen im Kontur umrissen und in einzelnen
Bereichen der figuralen Gesamtanlage ausgearbeitet,
eröffnen die so nur fragmentarisch angelegten Darstellungen
anspielungsreiche Zusammenhänge. Sie beziehen in der
formalen Charakterisierung der Figuren typologisch bekannte
Vorbilder aus der Kunst- und Kulturgeschichte in einer Weise
mit ein, die in der Wahrnehmung des Betrachters dadurch
einen Effekt des 'déja vu' erwecken wollen, wenn nicht
bewußt hervorrufen sollen. Agnes Märkel verknüpft die
Bilder unseres Kulturbewußtseins oder Erinnerungen etwa an
die eigene Kindheit, an Bildungsreisen oder an tradierte
Heiligenbilder kulturkritisch mit eigenen Assoziationen. Sie
greift indas Arsenal der Klischeevorstellungen und
inhaltlichen Kontexte ein und wählt nur jene Momente
vielfach als Zitate, die ihr wichtig erscheinen, um in einer
ihnen fremden Zusammenstellung in einer vielfältig
aufgebauten Collage, die zeichnerische und malerische
Ausarbeitung mit einschließt, den gestalterischen Ausdruck
zu treffen, der ihren inhaltlichen Vorstellungen, Wünschen,
Gedanken und Träumen entspricht. Während die früheren
Zeichnungen, mit den ihnen zugeordneten Titeln,
selbstanalytische Tendenzen der Evokation von Bildern
vermuten lassen, die für A.M. bedrängenden Charakter zu
besitzen scheinen, findet sie in ihren fortentwickelten,
formal und inhaltlich vielschichtig ausgearbeiteten Collagen
zu einer gänzlich offenen, anspielungsreichen, komplexen
Bildsprache, mit der sie die Bildkonventionen in der Malerei
überwindet und zu neuen, eigenständigen Formen der
Veranschaulichung findet. Sie gibt ihren Gedanken und
Assoziationen mit Bildzitaten aus dem gesamten Spektrum der
Kunst- und Kulturgeschichte in Form von Ausschnitten aus
Zeitungen, Zeitschriften, mit Fotokopien oder Pflanzen,
Steinen, Erde, Hölzern und anderen Gegenständen aus der
Natur oder ihrem täglichen Umfeld den ihnen adäquaten
dinglich definierten Ausdruck im Bildkontext, in dem ihr
gedanklicher Kosmos Gestalt annimmt. Im Zusammenspiel der
Bilder, Zeichen und Dinge transzendieren
Erinnerungsfragmente und Gedankensplitter zu visionären
Bildern psychischer Zustandsbeschreibung, ebenso wie
zu medienkritischen Paraphrasen der Freude, der Angst, auch
mit manchen resignativen Bezügen zu einer Welt des
Poetischen, die frei macht. Im Bewußtsein der Freiheit von
gesellschaftlichen, kulturellen und psychischen Zwängen
wird das Reale zur Poesie, nehmen Realitätsfragmente
poetischen Charakter an:
"Umherirrende
Seelen im Garten am Ende der Welt" (1993) oder
"Nein,
nein, wir sind verstoßen aus dem Reich der Märchen, aus
dem Zeitalter mit abgegriffenem Goldrand, in dem die Tränen
noch zu Perlen wurden" (1994).
Darin leistet Agnes Märkel einen neuen, sich ihrer selbst
und der Kunst, der Malerei vergewissernden Beitrag
bildnerischer Gestaltung, mit der sie der Phantasie neue
Räume für die Sprache des Bildnerischen zurückgewinnt. |