Text aus der Ausstellungspublikation
"Blütentreiben"
Ausstellung in der Galerie Rottloff, Karlsruhe | 19.01. - 22.02.2019
Michael Hübl
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Als
der zweite Weltkrieg eine Weile zurücklag, gab sich das 20.
Jahrhundert - zumindest auf einem Teil des Planeten -
blumig. "Tulpen aus Amsterdam" wurde per Röhrengerät,
Transistorradio oder Plattenspieler an die lauschenden
Adressaten versandt, es folgten "Weiße Rosen aus Athen", und
1967 beschwor Scott McKenzie Kalifornien-Reisende
sicherzustellen, dass sie Blumen im Haar tragen: "If you're
going to San Francisco, be shure to wear some flowers in
your hair." Der seinerzeit noch beinahe ungebrochene
Zukunftsoptimismus trieb reichlich Blüten.
"Blütentreiben" nennt Agnes
Märkel eine Ausstellung mit Arbeiten, in denen sich die
Künstlerin dem traditionellen Sujet des Blumenstilllebens
zuwendet und es als Medium nutzt, um Fragen der Gegenwart
aufzugreifen, deren Probleme zu thematisieren und
Unstimmigkeiten, Widersprüche, ja, Abgründe vor Augen zu
führen. "Blütentreiben" klingt zunächst vertraut vegetabil:
Aus dem Samen erwächst ein Trieb, der wird zur Pflanze und
die treibt Blüten hervor. Doch in Märkels Wortschöpfung
steckt zugleich etwas Bedrohliches: "Blütentreiben" weckt
Assoziationen an "Schneetreiben", an Orientierungsverlust
und Gefahr. Tatsächlich umfasst die Werkauswahl der
Künstlerin ein Bild, das blumiger Kontemplation den Boden
entzieht. Es heißt "Tornado" und zeigt in dramatischer
farblicher Verdichtung einen Wirbelsturm. Die Blumen im
Vordergrund, zumeist Tulpen, scheinen gerade noch der
kompletten Vernichtung entgangen zu sein.
Tulpenfelder im niederländischen Keukenhof sollen Klaus
Günter Neumann zu seinem Amsterdam-Schlager inspiriert
haben. Begriffe wie "Hedge Fonds", "Derivate" oder
"Leerverkauf" kursierten damals, Mitte der 1950er-Jahre,
nicht in der Öffentlichkeit. So wird Neumann kaum daran
gedacht haben, dass die bunt blühenden Zwiebelgewächse und
die mit ihnenverbundene Tulpomanie im 17. Jahrhundert einmal
Auslöser eines gewaltigen Börsencrashs gewesen ist. Ebenso
werden sich später die wenigsten des Massakers von Distomo
am 10. Juni 1944 und der anderen NS-Verbrechen während der
Okkupation Griechenlands erinnert haben, als "Weiße Rosen
von Athen" deutsche Wirtschaftswunderherzen eroberten.
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Bei einer Serie großformatiger Zeichnungen, die Agnes Märkel
zu Papier gebracht hat, sind manchmal die Blumen, immer aber
die Vasen, in denen sie stecken, schwarz. Mit Kohlestiften
gibt die Künstlerin den Gefäßen Gestalt, erzeugt raffinierte
Muster und elegante Konturen. Wie massive, sorgfältig und
zugleich kühn modellierte Plastiken stehen die Vasen auf der
Bildfläche. Im Vergleich zu den Gewächsen, denen sie Halt
und vor ihrem Welken und Absterben letzte Nahrung geben
sollen, wirken die Vasen übermächtig, fast gewaltig. Diese
absichtliche Disproportionalität versteht Märkel als
Metapher. Hier die Wucht und die Macht der Zivilisation,
dort die Natur in ihrer feinen und zarten, aber von
radikaler Ausbeutung bedrohten Komplexität.
Ein Jahr,
nachdem Scott McKenzie beim Monterey Pop Festival den
"Summer of Love" beschworen hatte, gründete sich der Club of
Rome. Der lockere Zusammenschluss von Wissenschaftlern
brauchte nicht lange, um der Welt die Grenzen des modernen,
industrialisierten und technisierten Wachstums aufzuzeigen.
Auf Warnungen folgten Absichtserklärungen, Konferenzen,
Vereinbarungen. Klimaziele wurden gesetzt,
Entschädigungsfonds angeregt für Menschen in Regionen, die
durch das Ansteigen des Meeresspiegels dem Verschwinden
anheim fallen oder aufgrund fortschreitender Desertifikation
keine Lebensgrundlage mehr bieten.
Die Verletzungen
und Verluste, die seit dem Aufbruch in die Moderne Realität
wurden, hat Agnes Märkel früh und vielseitig zum Gegenstand
ihrer Arbeiten gemacht. Werke wie "Flächenfraß" (2008) oder
"Letzte Ressourcen" (2015) verweisen auf eine drangsalierte,
erschöpfte und in ihrem Gleichgewicht beschädigte Natur.
Auch Blüten läßt Märkel schon mal treiben: "Blühen" (2008),
eine ihrer für ihr Oevre charaktristischen Kombinationen aus
Fotocollage und Pastellzeichnung, ist aufgebaut wie ein
hübsch bestückter, sich in alle Richtungen öffnender
Blumenstrauß. Nur, dass da keine Blumenstengel
zusammenstecken, sondern die Gestänge von
Jahrmarktfahrgeschäften aufragen. Und was aussieht wie
abstrahierte Gerberablüten, sind kreisrunde Plattformen, auf
denen sich vergnügungsfrohe Kirmesbesucher in die Höhe
katapultieren und herumwirbeln lassen. Ungewiss, ob das
gutgeht. Es scheint, als würden Achterbahnrausch und
Karusseltaumel einige Rummelpassagiere aus der Bahn
schleudern.
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Ein Moment von Gefahr und naher Katastrophe findet sich in
den Werken Märkels. Mindestens genauso oft ist dieser Moment
eingebettet in ein ästhetisch ansprechendes, farblich fein
differenziertes Gefüge voller die Schaulust animierender
Aspekte. "Aus Luzifers Garten" (Abb.3) ist eines von mehreren
Blumenstillleben betitelt, die 2018 entstanden. Die sublime
Ambiguität des Namens Luzifer, der einmal für Venus, den
Morgenstern, stand und durch das Christentum zum Inbegriff
des schlechthin Bösen wurde, diese düster strahlende
Doppeldeutigkeit bestimmt die Atmosphäre des Bildes und
kennzeichnet die gesamte Serie. Totes, hartes Gehölz,
verdorrt, zersplittert und von Erdresten verklebt liefert
der Garten des der Verdammnis anheimgefallenen
Lichtbringers. Die Farben der Blüten gemahnt an die mit
Rouge geschminkten Kadaver, die Charles Baudelaire in seiner
Lyrik beschwor. Und das Gewässer, das unten hinter der Vase
zu erkennen ist, lässt sich, auch wenn es hierzulande
fotografiert wurde, spontan mit Styx assoziieren, dem
mythischen Fluss, über den Charon seinen Kahn ins Jenseits
lenkt.
Es sind "Fleur du Mal", denen Agnes Märkel zur
Blüte verhilft, fleischfressend wie "Carnivoren" (Abb.1), kalt und
leblos, weil "Erstarrt" (Abb.4). Aber anders als bei Baudelaire
sprießen sie nicht auf dem Humus müßiggängerischer
Langeweile, die der Dichter in seiner Zueignung als "monstre
delicat" erwähnt. Märkels "Blumen des Bösen" wuchern nicht
in irisierenden Phantasmagorien zwischen Eros und Thanatos.
Ihr Nährboden ist die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts, ihr
"Wiederblühen" (Abb.2), so ein weiterer Titel der Serie, erweist
sich als Apotheose des Abfalls. Zu sehen ist eine opulente
Scheinvegetation: Künstliche Gewächse, die zu einem
abstrus-skurrilen Bouquet gebündelt wurden. Ihre drallen
Dolden bestehen im Kern aus Detailaufnahmen von Müllhalden,
zeigen Stanzreste der metallverarbeitenden Industrie; statt
mit Farn und Schleierkraut ist das Gebinde mit rostigen
Büscheln aus Draht und Armierstahl ausgefüttert.
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Die
Fotos, die Märkel einsetzt, bilden die Ausgangsbasis
ausgreifender graphischer Bewegungen. In der Zeichnung
finden die fotografischen Motive ihre Fortsetzung. Die
Aufnahmen sind für die Künstlerin Anlass, die jeweils
vorgefundene Szene zu erweitern und zu akzentuieren. Für den
Betrachter bedeutet diese Methode, dass sie Bildern (und
den von ihnen repräsentierten Tatsachen) Aufmerksamkeit
schenken, die möglicherweise unterhalb der
Aufmerksamkeitsschwelle geblieben wären. An Foto-Input
herrscht in der sogenannten Informationsgesellschaft kein
Mangel. Aber Fülle generiert Flüchtigkeit. Dem wirken die
Arbeiten Märkels insofern entgegen, als sie durch nuancierte
Machart zu einlässlicher Betrachtung herausfordern.
Man wird dabei auf erschütternde Entdeckungen
stoßen, wird
eine grausame Analogie zwischen dem Umgang mit der Natur und
der Behandlung jener Lebewesen feststellen, die wir vom
Phänotyp als Menschen bezeichnen, aber vornehmlich als
Komponenten globalisierter Produktionsketten und
Handelsabläufe nutzen. Wieder sagt es Märkel durch die Bume,
allerdings nicht mit einem ihrer Vasenbilder, sondern
vermittels einer großen Landschaftsszenerie. Das Werk führt
exemplarisch vor Augen, wie Ablenkung funktioniert, wie sich
unangenehme Wahrheiten durch Überspielen ins Off drängen
lassen. "Für einen Augenblick" kommt daher wie ein
Vorfrühlingsbild, von Optimismus umflort. Allenthalben
Schnee und Frost, doch an einzelnen Stellen beginnt das Eis
zu tauen, sogar Gras grünt bereits. Wie um die
verheißungsvolle Stimmung zu steigern, hat Agnes Märkel zwei
leuchtend gelbe Flecken in das Bildgeschehen eingefügt.
Darüber hinaus hat sie dicke Blüten über die Fläche
verstreut. Deren heitere Lockerheit trügt. Die Blüten sind
verstreut, so wie man Blumen als letzten Gruß in ein Grab
wirft. Unauffällig und nur bei genauem Hinsehen auszumachen
das Foto, das den Anstoß gab zu dieser Arbeit. Ein Bild, von
dem Agnes Märkel nicht mehr loskam, nachdem es in ihr
Gesichtsfeld gelangt war. Die Fotografin Taslima Akhter hat
mit der Kamera ein Paar festgehalten, das zu den weit über
1000 Todesopfern gehört, die im April 2013 beim Einsturz des
Textilfabrikkomplexes Rana Plaza in Sabhar, nahe der
Hauptstadt von Bangladesch ihr Leben ließen.
Auf dem
Ärmel des T-Shirts der toten Frau prangt eine Blüte.
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